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Um 14 Uhr ist es soweit: Vor der sechsten Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden beginnt der Prozess gegen Alexander Ruzicka. Dem ehemaligen Chef der Media-Agentur Aegis wird gemeinschaftliche Untreue in 86 Fällen vorgeworfen. Schadenssumme: über 52 Millionen Euro. Mitangeklagt ist der Ex-Aegis-Geschäftsführer David Linn. Ruzicka betont weiterhin seine Unschuld. Es ist daher mit einem langwierigen Prozess zu rechnen, der zudem pikante Einblicke in die Branche liefern könnte. Der Drahtzieher Aleksander Ruzicka, von 1999 bis Oktober 2006 CEO von Aegis Media, gilt als Kopf der Affäre. 1985 als Planungsassistent zu der Wiesbadener Agentur gekommen, erklomm er als Ziehsohn des Firmengründers Kai Hiemstra die Karriereleiter. Dem Ex-CEO wird ein ausgeprägter Hang zur Selbstinszenierung attestiert. In der ersten anonymen Anzeige gegen ihn wird er als "relativ selbstherrlich" beschrieben, was seiner "exaltierten und arroganten Persönlichkeit" entspreche. Da er seit über 20 Jahren im Mediageschäft gearbeitet habe, kenne er "alle schmutzigen Tricks". Sein Arbeitsstil sei "konspirativ", auch hinterlasse er "keinerlei Unterlagen oder Dokumente". Seine Räume habe er regelmäßig nach Abhörgeräten durchsuchen lassen. In der Anzeige wurde sein Verdienst mit 400.000 bis 600.000 Euro jährlich angegeben. Damit sei sein Lebensstil aber nicht finanzierbar gewesen. Der Vorwurf Gemeinschaftliche und gewerbsmäßige Untreue in 86 Fällen: Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll Ruzicka 2002 mit zwei Aegis-Geschäftsführern, den Einkaufschefs Claudia Conde und David Linn, übereingekommen sein, Freispots an Aegis vorbei zum eigenen Vorteil zu kapitalisieren. Als Schadenssumme addierten die Ermittler 52 Millionen Euro. In zwei anonymen Anzeigen vom 5. Juli 2005 und 8. März 2006 werden neben Untreue und Unterschlagung weitere Vorwürfe erhoben: aktive und passive Bestechung, Geldwäsche, eventuell Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ferner laufen Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung. Im November outete sich Aegis als Verfasser beider anonymen Anzeigen. Angeklagt ist neben Ruzicka auch David Linn. Claudia Conde ist flüchtig. Das Verfahren gegen den Wiesbadener Wirtschaftsanwalt Cornelius Weber wurde abgetrennt. Die Anklageschrift gegen Heinrich Kernebeck, Ex-Chef der Aegis-Tochter Carat, ist vom Landgericht abgewiesen worden. Die Staatsanwaltschaft hat hiergegen beim Oberlandesgericht Frankfurt Beschwerde eingelegt. Sollte dieser stattgegeben werden, könnte das Verfahren erweitert werden. Das System Am 16. April 2003 wurde die Firma Camaco gegründet. Sie wird zu gleichen Teilen Ruzicka, Conde, Linn und Ex-Carat-Chef Kernebeck zugerechnet. Nach Kernebecks Ausscheiden 2003 hat dessen Anteil eine Scheinfirma namens Cascade übernommen. Zum gleichen Zweck soll die Firma Watson Communication & Services gegründet worden sein, hinter der Ruzicka steckte. Der Wiesbadener Wirtschaftsanwalt xxxxxxx (wir wurden von dem Anwalt abgemahnt und haben den Namen entfernt, und sind somit dem Wunsch nachgekommen) soll dabei beraten haben. In der zweiten anonymen Anzeige wird am Beispiel eines Freispots (ausgestrahlt am 26.8.2005, Nr. 0152.78 um 21.44 Uhr bei RTL) für den Aegis-Kunden Campari der Ablauf geschildert. Dieser Spot soll von Carat an Campari zu einem Preis von 15.180 Euro verkauft worden sein. Für seine Scheingeschäfte soll Ruzicka dann veranlasst haben, Freispots aus der internen Freispotliste der Agentur zu löschen und im IT-System als "bezahlte Spots" umzustellen. Daraufhin seien von Camaco für die umdeklarierten Freispots (die bereits für Kunden ausgestrahlt worden waren) Rechnungen an die Vermittlungsagentur Emerson FF gestellt worden (s.u.). Emerson FF sei aufgefordert worden, Rechnungen an Aegis über die angeblich bei Camaco gekauften Spots zu stellen. Die Rechnungsstellung soll auf detaillierte Anweisung erfolgt sein. Im Falle des Campari-Spots sollen von Emerson FF 9032,10 Euro in Rechnung gestellt worden sein. Nachdem Aegis diese Rechnungen beglichen habe, seien die Gelder zu Camaco oder Watson weitergeleitet worden. Bei den Scheingeschäften soll es sich um Freikontingente der TV-Spot-Vermarkter IP Deutschland und SevenOne Media gehandelt haben. Beide sollen keinerlei Geschäftsbeziehungen zu Camaco und Watson unterhalten haben. Das Freispot-Volumen der Agentur wird mit einem Wert von 125 Millionen Euro pro Jahr angegeben. Emerson FF Die Systemschnittstelle bildete Emerson FF. Die Bonner Agentur war ursprünglich gegründet worden, um ein europaweites Barter-System aufzubauen. In diese Gespräche sollen der damalige Aegis-Europa-Chef Doug Flynn sowie Ruzicka involviert gewesen sein. Es sollte eine exklusive Partnerschaft zwischen dem Network und der Barter-Firma Emerson Trust werden. Die Anteile: Emerson-Geschäftsführer Joachim Lüdeke hielt 24, 8 Prozent, eine Steuerberaterin treuhänderisch für Aegis 50 Prozent, Life2Solution 25,2 Prozent (als Kontrollorgan für Aegis Deutschland). Das Projekt sollte phasenweise umgesetzt werden. Zur Finanzierung wurde Emerson FF als Vermittlungs- und Rechnungsstelle in der Werbezeitenvermittlung der Firmen Watson und Camaco eingesetzt, wofür eine Aufwandsentschädigung erfolgte. Hierzu wurden Verträge zwischen den Firmen geschlossen. Bis August 2003 sollte Emerson FF der Kontrolle durch Aegis unterliegen. Die Planungen gerieten aber wegen der Havas-Übernahmeschlacht ins Stocken. Verteidigungsstrategie Ruzicka macht in seinen Einlassungen geltend, dass es für die Geldabflüsse einen Rechtsgrund gäbe: die Vergütung für Informationsgewinnung. Über 50 Millionen Euro für Infos über Einkaufskonditionen? Die Ermittlungsergebnisse stünden dem entgegen, meinen die Staatsanwälte: So gehörte die Beschaffung von Informationen und deren gewinnbringender Einsatz zu den Aufgaben der Beschuldigten. Ruzickas Argumenten sollen auch die Aussagen zweier Beschuldigter widersprechen, die zugaben, sich über die Kapitalisierung von Freispots bereichert zu haben. Das wichtigste Pfund der Anklage sind die Aussagen der früheren Assistentin von Claudia Conde. Diese war misstrauisch geworden und mit einem Schweigegeld von rund 427.000 Euro durch Ruzicka & Co. ruhiggestellt worden. Für die Anklage spricht ferner die Tatsache, dass es Aegis gelang, beim Oberlandesgericht Frankfurt eine Reihe dinglicher Arreste gegen die Hauptbeschuldigten durchzusetzen. Diese addieren sich auf fast 20 Millionen Euro. Solche Verfügungen über Vermögungswerte zum Zwecke des Schadensersatzes werden selten vor einer Verurteilung ausgesprochen. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden wertet dies als formelle Bestätigung ihrer Ermittlungsergebnisse. Die Rolle der Politik Bereits in der ersten anonymen Anzeige werden Vorwürfe gegen den Wiesbadener Agenturchef Reinhard Zoffel sowie den hessischen Europaminister Volker Hoff (CDU) geäußert. Beide zusammen betrieben die Agentur Zoffel Hoff Partner (ZHP). Nach seiner Berufung zum Minister im März 2006 war Hoff dort ausgeschieden. ZHP war wie Carat Agenturpartner der CDU. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Von 2002 bis 2006 sollen über sechs Millionen Euro von Aegis an ZHP verschoben und von dort an Tarnfirmen transferiert worden sein. Laut "Süddeutscher Zeitung" stießen die Fahnder bei ZHP auf Ausgaben von 4,4 Millionen Euro für Camaco: Angeblich soll Hoff selbst einen Scheck für Camaco übergeben haben. 1,6 Millionen Euro seien an Life2Solutions geflossen, hinter der auch Ruzicka stand. 255 000 Euro sollen an die OH 14 GmbH gegangen sein: OH steht für Oberer Haideweg, Ruzickas Adresse. Zoffel steht noch auf der Beschuldigten-Liste. Hoff nicht mehr. - copyright W U V - auch Photo 15.01.2008 / MaP More News
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